Hochschule Reutlingen
16.01.2023

Beziehungsgeflechte

Anna Goeddeke und Andreas Taschner veröffentlichen Paper zur Interaktion zwischen Studierenden und Lehrenden

Warum kommt der nicht einfach, wenn er eine Frage hat? Warum will die nicht mit mir über meine Note verhandeln? Die Beziehungen zwischen Studierenden und ihren Professorinnen und Professoren tragen wesentlich zur Studienzufriedenheit und zum Studienerfolg bei. Während „gute Lehre“ im Hörsaal bereits relativ breit erforscht ist, gibt es jedoch zu den Interaktionen außerhalb der Lehrveranstaltungen weit weniger Informationen. Mit dem Paper „Are students barking up the wrong tree? A causal model of factors driving effective student–faculty interactions“gehen Anna Goeddeke und Andreas Taschner, Professorin und Professor an der ESB Business School, dem Thema nach.

„Manchmal haben wir das Gefühl, dass Studierende mit fachlichen Fragen nicht zu uns kommen, obwohl wir genau dafür da sind und gerne helfen würden. Umgekehrt werden wir immer wieder mit Themen konfrontiert, für die wir gar nicht zuständig sind oder bei denen wir nicht weiterhelfen können“, erzählt Anna Goeddeke. Gemeinsam mit Andreas Taschner stellte sie sich die folgenden Fragen: Was erwarten Studierende von ihren Professorinnen und Professoren? Stimmt dies wiederum mit den Erwartungen der Lehrenden an die Studierenden überein? Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede oder andere Einflussfaktoren?

Für ihr Paper starteten die beiden Lehrenden zunächst eine Umfrage unter ihren Kolleginnen und Kollegen: Was wird als Standardinteraktion mit Studierenden angesehen, was als eine Forderung, die über den Standard hinausgeht? Zur Beurteilung wurden den Befragten sogenannte Vignetten, die verschiedene Situationen beschreiben, vorgelegt. Die Ergebnisse waren überraschend einhellig. Während einige Fälle, zum Beispiel fachliche Rückfragen außerhalb des Hörsaals, als Standard eingestuft werden, werden andere Interaktionen, beispielsweise Nachverhandlungen über Noten, als Sonderwünsche klassifiziert.

Im Anschluss wurden Studierende gebeten, dieselben Vignetten zu beurteilen. Dabei sollten sie angeben, wann sie die konkrete Interaktion anstoßen würden, wie ihre Erwartungen dabei wären und wie groß ihre Enttäuschung, wenn der oder die Lehrende diese nicht erfüllt. Grundsätzlich, so das Ergebnis, liegt das Verständnis von Lehrenden und Studierenden gar nicht so weit auseinander. In Standardsituationen sind Studierende manchmal sogar zurückhaltender, als Professorinnen und Professoren dies erwarten würden.

Deutliche Unterschiede gab es bei den Vignetten zu Situationen, die über den Standard hinaus gehen, zum Beispiel Notenänderungen oder Musterlösungen zu Altklausuren. „Studentinnen suchen solche Sondersituationen seltener als ihre männlichen Kommilitonen, weil sie gar nicht erwarten, dass sie damit erfolgreich sind. Wenn sie doch eine solche Anfrage stellen und diese nicht erfüllt wird, sind Frauen aber auch enttäuschter als Männer“, so Andreas Taschner zu den Resultaten.

Eine weitere Gruppe, die in der Auswertung hervorstach, waren Studierende, die als „academically entitled“ klassifiziert wurden. Darunter wird die Einstellung von Studierenden verstanden, akademischen Erfolg zu erwarten, ohne die persönliche Verantwortung für das Erreichen dieses Erfolgs zu übernehmen. Sie suchen mit höherer Wahrscheinlichkeit Interaktionen, die über den Standard hinausgehen und haben eine höhere Erwartungshaltung an ihre Lehrenden, vor allem an Professorinnen. Werden ihre Wünsche nicht erfüllt, sind sie jedoch von Männern enttäuschter als von Frauen.

„Als Lehrende sollten wir Studierende aktiv ermutigen, mit uns auch außerhalb des Hörsaals in Kontakt zu treten, insbesondere wenn es um fachliche Fragen und Diskussionen geht“, zieht Anna Goeddeke Bilanz. Andreas Taschner ergänzt: „Gleichzeitig müssen wir aber aufpassen, dass wir bei Sonderanfragen nicht diejenigen bevorzugen, die sich am schnellsten oder lautesten äußern. Von einer guten Interaktion zwischen Studierenden und Lehrenden sollten alle Beteiligten gleichermaßen profitieren.“