Hochschule Reutlingen
05.05.2023

Zählt Deutschland im Jahr 2030 noch zu den Global Playern?

Expertinnen und Experten diskutieren beim Wirtschaftsforum der ESB Business School die Zukunftsfähigkeit der Industrienation Deutschland.

„Deutschland 2030 – Global Player oder Global Loser?“ – das Thema des diesjährigen ESB Wirtschaftsforums lockte gut 250 Gäste ins Kulturzentrum franz.K in Reutlingen. Fünf hochkarätige Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft diskutierten gestern die aktuelle Rolle Deutschlands im Weltgeschehen und die Zukunft der Bundesrepublik auf der globalen Bühne. Mit dabei waren Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie a. D., Thomas Dauner, ehemaliger Managing Director und Senior Partner bei The Boston Consulting Group GmbH, Anna Göddeke, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der ESB Business School, Remy Lazarovici, Geschäftsführer DACH bei der Celonis Deutschland GmbH und Isabel Corinna Knauf, Mitglied des Gesellschafterausschusses der Knauf Gruppe und Aufsichtsrätin bei der Continental AG.

„„Exportweltmeister“, „Patent-Europameister“, „Made in Germany“ als Qualitätssiegel - wenn es um den Wirtschaftsstandort Deutschland geht, liest man diese Begriffe immer seltener in den Medien“, leitete Moderatorin Dr. Julia Hagel die Diskussionsrunde des 27. Wirtschaftsforums der ESB Business School ein. Stattdessen lese man immer häufiger vom drohenden wirtschaftlichen Abstieg und Zweifeln an der Zukunftsfähigkeit des Landes.

Die Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft waren jedoch einhellig der Meinung, dass Deutschland auch 2030 zu den Global Playern zählen wird, zeigten aber gleichzeitig Handlungsbedarf in vielen Bereichen auf.

Peter Altmaier stellte in Bezug auf den Status Quo des Wirtschaftsstandortes Deutschland klar: „Wir waren die letzten 70 Jahre nach jeder Krise stärker als zuvor. Das ist der Beweis für ein stabiles politisches und wirtschaftliches System, gute Arbeitnehmer und einen starken Mittelstand. Aber es hat sich Rost angesetzt“. Künftig müsse man mit drei disruptiven Ereignissen umgehen: eine globale Umverteilung von Wirtschaftskraft, ein großer Nachholbedarf beim Thema Technologisierung und Digitalisierung und noch ungelösten Zielkonflikten zwischen wirtschaftlichen und klimapolitischen Interessen. „Wenn wir uns die Rankings ansehen, bei Investitionen, Ausgaben für Forschung und Entwicklung, bei unserer Rolle in Wasserstoff und KI, beim Zustand unserer Infrastruktur und der Digitalisierung – geht leider der Trend für Deutschland in den letzten Jahren etwas nach unten“, stellte auch Thomas Dauner fest. Anna Göddeke sorgte sich um den Bildungssektor und nannte den Fachkräftemangel – in einigen Branchen sogar Arbeitskräftemangel – als einen weiteren aktuellen Risikofaktor für die deutsche Wirtschaft. Als „Berufsoptimist“ gestand Remy Lazarovici, seinerseits Experte für Unternehmensgründung, Deutschland als Gründungsstandort trotz suboptimaler Rahmenbedingungen Potenzial zu. Optimierungsbedarf sahen er und Isabel Corinna Knauf in der logistischen Infrastruktur und der Energiepolitik des Landes.

In Bezug auf Lösungsansätze sah das Podium sowohl die Regierung als auch jeden Einzelnen in der Pflicht. „Wir müssen aufhören darauf zu hoffen, dass die alten Zeiten wiederkommen und uns den neuen Herausforderungen stellen. Wir müssen jetzt beginnen, Bildung, Energie, Infrastruktur, Verwaltung und Genehmigungsverfahren zu reformieren“, so Knauf. Eine differenzierte Herangehensweise je nach Branche und Bedürfnis der Unternehmen und die getroffenen Entscheidungsmaßnahmen dann konsequent umzusetzen, sei hier wichtig. Man müsse sich auch klar darüber sein: „Wenn wir das wollen, wird es etwas kosten“, betonte sie.

„Ich bin sehr optimistisch, was die Wettbewerbssituation Deutschlands 2030 angeht“, zeigte sich Göddeke überzeugt. Mut zu globalen Handelsbeziehungen mit einer neuen Sensibilität für Abhängigkeiten und eine durchdachte internationale Arbeitsteilung auf Basis des Wettbewerbs seien zielführend. Eine Mikrosteuerung der Wirtschaft oder Protektionismus durch den Staat hingegen weniger hilfreich. Insbesondere Lazarovici betonte die Bedeutung von Ausbildung und Talentförderung für die Zukunftsfähigkeit: „Mit vielen innovativen Unternehmen, exzellenten Hochschulen und gut ausgebildeten Talenten haben wir in Deutschland eine gute Ausgangslage um erforderliche Transformationen erfolgreich zu gestalten“, war er sich sicher. Daher wünsche er sich mehr Talentförderung, Investitionen in die Ausbildung und Offenheit für angeworbene Fach- und Arbeitskräfte. In Bezug auf den Arbeitsmarkt seien auch Reformen bei Löhnen, Arbeitszeit- und Steuermodellen Stellschrauben, an denen man drehen könne, so Göddeke. Dauner hob hervor, dass die Energiewende als Wachstums- und Wohlstandsmotor essentiell für einen künftigen Global Player sei, allerdings müssten die „Bausteine zusammenpassen“ und die Rahmenbedingungen mit einem langfristigen Plan geschaffen werden. Altmaier war hier wichtig, dass die Mittelschicht nicht der Verlierer der Transformation sein dürfe, denn: „Wir brauchen eine moderne, nachhaltige Klimapolitik, die dafür sorgt, dass Wohlstand und Klimaschutz kein Gegensatz sind, sondern zwei Seiten ein- und derselben Medaille“. Dafür wünsche er sich in Zukunft einen überparteilichen, langfristigen Plan der von einem gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Würden diese Lösungsansätze verfolgt, so waren sich die Diskussionsteilnehmer einig, würde Deutschland sich auch 2030 in der Riege der Global Player wiederfinden.

Die gelungene Veranstaltung krönte die einjährige, ehrenamtliche Planung des studentischen Organisationsteams. „Es ist toll zu sehen, dass wir nicht zu jung sind, um mit der Unterstützung der ESB eine solche Veranstaltung auf die Beine zu stellen – mit einem voll besetzten franz.K und namhaften Referenten. Das haben wir als Team geschafft“, freute sich Alexandra Schmidt, Studentin im 4. Semester des Bachelorstudiengangs International Management Double Degree (IMX), nach Veranstaltungsende über den erfolgreichen Abend. Die weiteren Mitglieder des diesjährigen Organisationsteams waren Nicolai Winter, Lucas Osterauer und Lara Vogt (Akquise der Referent:innen), Alexandra Schmidt und Elisa Pigliacampo (Logistik) sowie Melissa Reinhard und Philipp Bergner (Marketing).